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Gebärden statt Geschrei: Mit Babyzeichensprache das Kind besser verstehen

Babys wollen verstanden werden und Eltern wollen ihr Kind verstehen. In den ersten zwei Lebensjahren, bevor die Kinder sprechen können, ist das allerdings nicht immer so einfach. Das Gebärden mit Babys – auch Babyzeichensprache genannt – kann die Kommunikation verbessern. Gelehrt wird die Methode unter anderem in Babysignal-Kursen. Mamaclever hat sich für euch einen solchen Kurs angeschaut und erklärt, was hinter dem immer beliebter werdenden Konzept steckt.

Franziska fragt ihren sechzehn Monate alten Sohn Milan, ob er nochmal auf dem Trampolin hüpfen will. Sie macht zu ihren Worten die Gebärde für Hüpfen – sie tippt mit Zeige- und Mittelfinger auf ihre Handfläche – und jene für nochmal – der Zeigefinger wird nach oben gestreckt und gedreht. Milan schaut seine Mutter aufmerksam an. Dann nimmt er sein kleines Händchen hoch und macht die Gebärde für “nochmal” nach.

“Willst Du nochmal?”, fragt Franziska ihren Sohn Milan.

Franziska und Milan besuchen zusammen mit vier weiteren Müttern und Babys einen Babysignal-Kurs für Fortgeschrittene in Hamburg-Eimsbüttel. In der Mitte des Raumes steht ein kleines Trampolin, daneben hängt ein Schaukelsitz, außerdem hat Kursleiterin Wiebke Gericke eine Rutsche aufgebaut. Am Anfang der Stunde hat sie die Mütter gefragt, welche Erfahrungen sie bisher mit dem Gebärden mit ihren Babys gemacht haben. Alle haben bereits den Anfängerkurs besucht, der sich an Mütter mit Kindern ab sechs Monate richtet.

Sarah erzählt, dass ihre elf Monate alte Tochter Ruby vor allem die Gebärden für “an” und “aus” toll findet und auch schon mal “Hund” gebärdet hat. “Ich merke, dass sie sehr viel versteht”, sagt die Mutter. Die Worte “an” oder “aus” spricht auch der einjährige Johann gerne mit seinen Händen, wie seine Mutter Tina berichtet. Außerdem sei ihr Sohn bei einem Weihnachtsbesuch bei Uroma irgendwann zu ihr auf den Schoß geklettert und habe die Gebärde für “fertig” gemacht. So habe er ihr gezeigt, dass es ihm zu viel ist. “Wir haben dann sofort gepackt und sind gegangen.” Tina findet es toll, dass ihr Sohn durch das Gebärden die Möglichkeit hat, sich auszudrücken – auch wenn er noch nicht sprechen kann. “Ich habe keine Lust auf Geschrei und das vermeiden wir so.”




Mirjam erzählt, dass sie manche der rund 60 Gebärden, die im ersten Kurs vermittelt wurden, nicht macht, weil sie ihr zu umständlich sind. Die für Essen und Trinken oder für Musik stünden aber hoch im Kurs.

Die Idee kommt aus Amerika

Sarah zeigt ihrer Tochter Ruby die Gebärde für “Schaukeln”.

Und Musik gibt es dann gleich zu Beginn: Wiebke Gericke bewegt ihre Zeigefinger wie ein Dirigent hin und her, das bedeutet “Musik”. Die Mütter machen es ihr nach und dann wird das Begrüßungslied gesungen.

Dass alle Mütter die Gebärden machen ist wichtig, damit die Kinder sie sehen, egal wohin sie gerade schauen. Dann erklärt Wiebke das Thema der Stunde: Spielplatz. Sie zeigt Fotos von Schaukeln, Rutschen, einem Trampolin und einem Häuschen und macht dazu die Gebärden, die alle der Deutschen Gebärdensprache entstammen. In anderen Stunden wird es beispielsweise um Lebensmittel gehen, um Zootiere oder um Verkehrsmittel.

“Sehr nützlich ist das hier”, sagt Wiebke: “Einmal noch und dann ist Schluss.” Sie streckt dabei den Daumen in die Luft und legt dann beide Hände mit den Handflächen nach unten nebeneinander und zieht sie auseinander. Dann erzählt sie davon, wie ihre Tochter Clara ihr einst auf dem Spielplatz fünf Finger statt nur einen gezeigt hat und dann das Zeichen für “Schluss”. Die Kleine hatte das Prinzip verstanden – und zu ihren Gunsten abgewandelt.

Wiebke Gericke gebärdet das Wort “Katze”.

Wiebke Gericke ist Diplom-Pädagogin und hat Gebärdensprache studiert. Die Idee für die Babysignal-Kurse hat die 45-Jährige vor elf Jahren entwickelt. Zum einen aus ihren Erfahrungen als Mutter heraus und zum anderen aus ihrer Arbeit, bei der sie viel mit Kindern zu tun hat, die gebärden müssen, weil sie entweder hörbehindert sind oder gehörlose Eltern haben.

Entstanden ist die Idee, die darauf basiert, dass Kinder Sprache lange vorher verstehen bevor sie selbst sprechen können, ursprünglich Mitte der 1980er-Jahre in Amerika. Seit der amerikanische Kinderpsychologe Joseph Garcia Mitte dort die Grundlagen der Baby-Zeichensprache entwickelt hat, breitet sich die Methode aus. In Deutschland gibt es seit 2004 Kurse zum Gebärden mit Babys.



Kein Baby-Lernprogramm

Mancher Kritiker sieht in den Babyzeichensprache-Kursen eine weitere Ausgeburt des Frühförderwahns. Dem widerspricht Wiebke Gericke entschieden. “Es handelt sich nicht um einen Baby-Leistungskurs”, sagt sie den Müttern gleich in der ersten Stunde. Es geht nicht darum, dass die Kinder etwas lernen. “Wir machen ein Angebot, es ist ein Experiment, und die Kinder entscheiden selbst, was sie davon übernehmen.” Indem man mit dem Baby gebärde, gehe man eine Stück weit auf das Kind zu. Es gehe auch darum, ihm Aufmerksamkeit zu schenken, so Gericke.

Tina fragt Milan, ob er hüpfen möchte.

Eigentlich ist der Kurs eine Spiel- und Singstunde für die Kinder, bei der ihre Mütter nebenbei einige Vokabeln der Gebärdensprache lernen. Und so dürfen die Kinder nun erstmal hüpfen, schaukeln oder rutschen und die Mütter probieren die gerade gelernten Gebärden aus.

Danach bringt Wiebke den Müttern ein Abendlied bei, zu dem natürlich wieder fleißig gebärdet wird. Spielerisch lernen die Mütter so die Gebärden für Schmetterling, Blume, Haus, Schlafen und Pinguin. Johann hat andere Pläne: Er steckt sich den Finger in den Mund. “Ich will etwas essen”, bedeutet das. Seine Mutter holt eine Dose aus ihrer Tasche.

Kinder, denen Gebärden zur Verfügung stehen, spüren dadurch ihre Selbstwirksamkeit. Sie machen dank Babyzeichensprache die Erfahrung, ich habe etwas zu sagen, ich werde ernst genommen und kann Dinge bewirken, auch wenn ich noch nicht sprechen kann.

Am Ende wiederholt Wiebke nochmal alle Gebärden, die sie in dieser Stunde verwendet hat – und als Gedächtnisstütze bekommen alle Mütter ein Blatt, wo die Gebärden nochmal abgebildet sind. “Aber eigentlich sind die so logisch, dass man sich die gut merken kann”, sagt Sarah.

Für den Anfang reichen sechs bis zwölf Gebärden

Es geht sowieso nicht darum, dass man so viele Gebärden wie möglich lernt und dass das Kind möglichst viele Gebärden beherrscht. Das wird in dem Anfängerkurs deutlich, der gleich nach dem für Fortgeschrittene beginnt.

Eine der ersten Gebärden, die Wiebke den Babys zeigt, ist die für “an”.

“Ihr werdet in dem Kurs rund 60 Gebärden lernen”, sagt Wiebke den acht anwesenden Müttern. “Für den Anfang braucht ihr aber nur sechs bis zwölf. Ihr müsst euch keinen Stress machen, dass ihr alle gebärdet, wählt einfach die aus, die für euch passen.” Die Gebärden, für die man sich entschieden hat, solle man dann über einen längeren Zeitraum aber oft wiederholen, auch wenn das Kind nicht zurückgebärde. Meistens dauert es wie beispielsweise bei Milan rund drei Monate, bis Babys das erst Mal anfangen, die Gebärden selbst zu nutzen. Wichtig ist außerdem, dass man beim Gebärden dem Kind nicht zu nah vor dem Gesicht herumfuchtelt. “Eine gewisse Distanz ist angenehmer, also macht die Gebärden mit Abstand” rät Wiebke.

Sie fragt die Mütter, was sie in den Kurs geführt hat. Viele haben von Babysignal durch Freunde erfahren, die bereits mit ihren Kindern gebärden. Eine Mutter sagt, dass ihre Kinder zweisprachig aufwachsen. In diesem Fall können die Gebärden eine Brücke zwischen den beiden Sprachen sein. Und eine andere verspricht sich von dem Kurs, dass es beim Thema Essen nicht mehr so viel Geschrei gibt, weil ihre Tochter dann vielleicht zeigen kann, was sie möchte. Die Kommunikation vereinfachen und zu verbessern, darum scheint es den meisten zu gehen.




Sorge haben, dass das Gebärden mit Babys ihre Sprachentwicklung verzögert, muss man übrigens nicht. “Die Kinder hören mit dem Gebärden wieder auf, wenn ihnen das Sprechen leichter fällt”, sagt Wiebke Gericke. Amerikanische Studien sind sogar zu dem Schluss gekommen, dass Baby-Signing (wie es im englischsprachigen Raum heißt), das unterstützt, was ohnehin geschieht. Kleinkinder helfen sich mit Armen und Händen selbst, sprechen zu lernen, so die Psychologin Susan Goldin-Meadow von der Universität Chicago. Und das Gebärden ersetzt für hörende Kinder ja auch nicht die Sprache, es ergänzt sie. Die Gebärde wird immer parallel zum gesprochenen Wort gezeigt. Pro Satz wird auch nur eine Gebärde gemacht.

Kurse, Bücher, Videos

Wer sich für Gebärden mit Babys interessiert, der kann natürlich einen Kurs besuchen. Neben den Babysignal-Kursen, deren Kursleiterinnen von Wiebke Gericke ausgebildet werden, gibt es als großen Anbieter auch noch Zwergensprache. Daneben gibt es auch kleinere Anbieter wie Zauberhafte Babyhände.

Wenn es in eurer Nähe keinen Kurs gibt oder ihr keine Zeit dafür habt, ist es aber auch gut möglich, sich die Gebärden mit Hilfe eines Buches oder eines Videos selbst anzueignen. Natürlich wäre es prinzipiell auch möglich, sich selbst Gebärden auszudenken, um mit seinem Kind zu kommunizieren. Wiebke Gericke hält es aber für sinnvoll, die offiziellen Gebärden aus der Gebärdensprache zu nutzen – das fördere einfach die Inklusion und so könne man bei Bedarf auch mal mit gehörlosen Kindern kommunizieren.

Wiebke Gericke hat das Buch “babysignal – Mit den Händen sprechen. Spielerisch kommunizieren mit den Kleinsten*” (Kösel-Verlag, 15,99 Euro) geschrieben. Darin werden 90 Gebärden für den Alltag vermittelt, außerdem gibt es viel Hintergrundwissen. Weitere empfehlenswerte Bücher sind “Das große Buch der Babyzeichen. Mit Babys kommunizieren bevor sie sprechen können*“ von Vivian König (Verlag Karin Kestner, 27,90 Euro)” mit fast 300 Gebärden und “Zauberhafte Babyhände*” von Kelly und Andy Malottke (Verlag Malottke, 23,90 Euro) mit einem Bildwörterbuch mit 99 Gebärden.

Zwergensprache bietet auch eine App an, sie kostet 4,99 Euro und ist erhältlich für Android oder iOS. Und dann gibt es auf Youtube eine große Auswahl an Videos, zum Beispiel auf dem Kanal von Zauberhafte Babyhände, von Babysignal oder von Sprechende Hände.

Habt Ihr schon Erfahrungen mit Babyzeichensprache gemacht? Dann freue ich mich auf Euren Kommentar!

Fotos: Mamaclever/Eva Dorothée Schmid

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Kategorien: Allgemein Baby
Eva Dorothée Schmid: Ich bin Journalistin und Mutter eines Sohnes (geb. 2012) und einer Tochter (geb. 2015), wohne in Hamburg und versuche als Mamaclever, Eltern fundierte Antworten auf alle Fragen zu geben, die sich mit Baby, Klein- oder Kindergartenkind so stellen.
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