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Womit Omas nerven und was man ihnen entgegnen kann

Internetforen sind voll von den Klagen junger Mütter über die nervigen Sprüche ihrer Mütter und Schwiegermütter. Die Omas wissen oft alles besser und mischen sich ständig in die Kindererziehung ein. Dabei ist vieles von dem, was sie raten, total veraltet und entspricht nicht mehr dem heutigen Stand der Wissenschaft. Ein Artikel zum Ausdrucken für nervige Omas.

Es gibt wohl kaum eine Oma, die nicht des Öfteren einen gut gemeinten Ratschlag gibt. Doch gut gemeint ist noch lange nicht gut. Denn die Empfehlungen haben sich auf vielen Gebieten über die Jahrzehnte hinweg geändert und nicht selten verunsichern die Ratschläge der Omas die jungen Mütter. Die Omas sind natürlich davon überzeugt, dass sie wie wir das beste für ihr Kind wollten und die Erkenntnis, dass man früher vielleicht einiges (zumindest nach heutigem Wissensstand) falsch gemacht hat, ist schmerzlich.

Ich habe in Elterngruppen nachgefragt, was die häufigsten Streitpunkte zwischen Müttern und den Omas der Kinder sind und diese hier mal zusammengetragen. Plus den heutigen Stand – druckt den Artikel gerne aus und gebt ihn den Omas zu lesen. Ich versuche auch zu erklären, woher die Meinungsverschiedenheiten herrühren, damit auch wir besser verstehen, warum unsere Mütter und Schwiegermütter vieles anders sehen als wir. Vielleicht wird dann einiges entspannter im Umgang miteinander.

Stillen nach Bedarf versus Fütterung nach Zeitplan

Ein ganz großer Streitpunkt ist das Thema Ernährung. Viele unserer Mütter haben nicht oder nur sehr kurz gestillt, denn sie haben früher nicht die notwendige Unterstützung bekommen und der Stillstart war aufgrund der äußeren Begebenheiten – die Neugeborenen wurden oft nach der Geburt erstmal von der Mutter getrennt und bis Ende der 1970er-Jahre ihnen auch nur zum Stillen ins Zimmer gebracht – häufig sehr schwierig. Oft wurde zudem im Krankenhaus von den Schwestern einfach zugefüttert – kein Wunder, wenn es da nicht so richtig klappen wollte mit dem Stillen. Außerdem dachte man früher, dass Muttermilch wegen der Umweltgifte eher schädlich fürs Kind ist und griff deshalb gerne zu Ersatznahrung, die als sicher und modern galt.

Unsere Mütter und Schwiegermütter bekamen darüber hinaus einen genauen Plan, wann der Säugling gestillt/gefüttert werden sollte und außerhalb des strengen Zeitplans sollten sie ihr Kind nicht anlegen.  Es hieß, das Baby dürfe nur alle drei bis vier Stunden angelegt werden und dann auch nur maximal 20 Minuten trinken. In den Aufzeichnungen meiner Schwiegermutter, die ihr erstes Kind 1970 bekommen hat, steht beispielsweise, dass ihr drei Wochen alter Sohn sechs Mahlzeiten am Tag bekommen soll, um 5, 9, 13, 17, 20 und 23 Uhr. Die Zeitangaben wurden damit begründet, dass das für die Gesundheit des Babys notwendig sei, die Verdauung werde sonst gestört. Deshalb kommt von Omas häufig die Frage: “Was, stillst Du schon wieder?”

Sie können es kaum verstehen, dass Babys heute nach Bedarf gestillt werden und dass es völlig normal ist, wenn ein wenige Wochen altes Baby acht bis zwölf mal innerhalb von 24 Stunden gestillt wird.  Und bei Wachstumsschüben darf’s sogar noch häufiger sein. Nur wenn das Baby nach Bedarf gestillt wird, wird sichergestellt, dass die Brust genug Milch produziert, denn die Nachfrage regelt das Angebot. Und dass ein Baby ständig an die Brust will, heißt nicht, dass es nicht satt wird.

Heute beginnt man viel später mit der Beikost als früher

Früher riet man den Müttern auch dazu, nach vier Wochen schon Karotten- oder andere Obstsäfte ins Fläschchen zu tun, was wohl daran lag, dass die Flaschennahrung damals nicht so gut war wie heute und man Vitaminmangel befürchtete. Heute ist das unnötig, die Flaschennahrung ist sehr viel besser als früher und Muttermilch bietet alles, wirklich alles, was ein Kind braucht. Deshalb braucht es neben dem Stillen in den ersten sechs Monaten weder Karottensaft noch Wasser noch Tee. Und Babys brauchen auch keine Schmelzflocken in der Flasche.

Experten empfehlen heute, mit der Beikost frühestens im fünften Lebensmonat anzufangen, weil der kleine Darm Nahrung vorher noch gar nicht richtig verdauen kann. Früher wurde Müttern gesagt, sie sollten bereits im dritten Monat mit Gemüsebrei zufüttern, im sechsten Monat sollte die letzte Flasche durch Brei ersetzt werden und zu diesem Zeitpunkt sollte das Kind darüber hinaus auch Eigelb, Schwarzbrotrinde, Zwieback und Knäckebrot bekommen, ab dem 8. Monat dann Fleisch, Leber und Quark. So steht es beispielsweise in den Aufzeichnungen meiner Schwiegermutter von 1970.

Und um Allergien vorzubeugen, wird heute empfohlen, dass man parallel zur Beikosteinführung weiterstillt, es heißt ja nicht umsonst Bei- und nicht Anstattkost. Die WHO empfiehlt, sechs Monate ausschließlich zu stillen und dann bis zu zwei Jahre neben der Beikost weiterzustillen. Welche Vorteile langes Stillen hat, könnt Ihr auch hier nachlesen.

Streitpunkt: Schreien lassen und verwöhnen

Nur unter deutschen Eltern ist die Angst groß, sie könnten ihr Baby verwöhnen und sich so einen kleinen Haustyrannen heranziehen. Das hat viel mit einem unsäglichem Elternratgeber von Johanna Haarer zu tun, der seit der Nazizeit bis in die 1980er-Jahre weit verbreitet war. Näheres dazu in diesem Post. Während man früher dachte, dass Kinder mit schlechten Eigenschaften zur Welt kommen, die man ihnen austreiben muss, weiß man heute, dass Babys ihre Eltern noch gar nicht gezielt manipulieren können. Sie schreien keinesfalls um ihre Eltern zu tyrannisieren, sondern sie haben schlicht keine andere Möglichkeit um auf ihre Bedürfnisse aufmerksam zu machen. Wer dann nicht reagiert, der schwächt das Urvertrauen des Kindes in seine Bindungspersonen.

Auch heute noch hört man häufig den Spruch “Schreien kräftigt die Lungen” (Haarer war Lungenfachärztin…). Dafür gibt es keinerlei wissenschaftlichen Beleg, Schreien tut nicht den Lungen gut, sondern schadet dem Baby. Es schüttet dadurch viele Stresshormone aus, was auf Dauer schädlich ist und die Entwicklung beeinträchtigt. Wenn Eltern dagegen auf die Bedürfnisse ihrer Babys schnell eingehen, dann entwickeln sich diese sprachlich und intellektuell besser und weinen später deutlich seltener – das haben Studien gezeigt.

Zu einem grundlegenden Bedürfnis eines Babys gehört auch viel Körperkontakt. Ohne die Nähe zu ihrer Mutter hätten sie zu Urzeiten keinerlei Überlebenschance gehabt, das prägt Babys bis heute. Deshalb ist es total normal, wenn sie schreien, sobald sie abgelegt werden. Und wer sie dann hochnimmt, verwöhnt sie nicht, sondern stillt ein ganz elementares Bedürfnis.

Ein schiefer Rücken vom Herumtragen?

Unsere Mütter haben gelernt, dass es für die körperliche Entwicklung sehr wichtig ist, dass Babys viel liegen und dass ihr Rücken schief wächst, wenn sie zu viel getragen werden. Kein Wunder, wenn sie es beängstigend finden, wenn wir unsere Kinder den ganzen Tag im Tragetuch herumtragen. Studien haben allerdings ergeben, dass das Tragen dem Rücken überhaupt nicht schadet. Statt dessen werden die Sinne des Babys angeregt und Fehlentwicklungen der Hüfte können so vermieden und sogar therapiert werden. Bevor Kinderwagen erfunden wurden, war es übrigens total üblich, Kinder herumzutragen und das wird auch in den meisten Gegenden der Welt auch heute immer noch so praktiziert.

Manche Omas machen sich auch Sorgen, ob das Baby genug Luft im Tragetuch bekommt. Auch hier gibt es Entwarnung: An der Universität zu Köln wurden 36 Babys (sowohl Früh- als auch Reifgeborene) während des Aufenthalts im Tragetuch und im Kinderwagen einem Monitoring unterzogen. Dabei stellte man fest, dass die Sauerstoffsättigung der Babys im Tragetuch nur maximal ein Prozent geringer war als im Kinderwagen – ein Wert, den die Forscher für vernachlässigbar halten und als klinisch nicht relevant einstufen.

“Meine Kinder waren viel früher trocken und sauber”

Unsere Mütter und Schwiegermütter sagen häufig, dass wir viel früher trocken waren als die Enkel Das stimmt auch – allerdings nur, weil Kinder früher ständig auf den Topf gesetzt wurden, oft schon mit einem Jahr. Kein Wunder, das Wickeln mit den  Stoffwindeln – Pampers wurden in Deutschland erst 1973 eingeführt – war sehr aufwendig, wer will es da unseren Müttern verdenken, dass sie die Dinger so bald wie möglich loswerden wollten? Wenn die Eltern aber mal ausfielen, dann sah die Sache anders aus. Und das ist auch kein Wunder. Trocken- und Sauberwerden ist ein Reifungsprozess, den man nicht beschleunigen kann. Internationale Studien haben ergeben, dass Kinder im Schnitt mit 30 Monaten trocken werden und diese Zahlen sind völlig unabhängig davon, ob die Eltern eine Sauberkeitserziehung gemacht haben oder nicht! Und bis zu 20 Prozent aller 5-Jährigen benötigen zumindest ab und zu noch Windeln und für Experten ist das auch kein Grund zur Sorge.

Wo und wie soll das Baby schlafen?

Der plötzliche Kindstod ist das Schreckgespenst aller Eltern. Experten empfehlen, dass das Kind auf dem Rücken im Schlafsack ohne Decke und Kissen schlafen sollte. Omas finden das oft wenig kuschelig, aber es ist dafür sicherer. Außerdem haben sie teilweise gelernt, dass man das Kind mehrmals in der Nacht umdrehen soll, damit es keinen unförmigen Kopf bekommt. In der Tat führt das häufige Liegen in Rückenlage, das das Risiko für den plötzlichen Kindstod um 40 Prozent senkt, bei vielen Babys zu einem flachen Hinterkopf. Der allerdings verschwindet bis zum Ende des dritten Lebensjahres normalerweise von allein und wird bis dahin durch das wachsende Haar des Kindes gut kaschiert. Zudem hilft regelmäßiges Tragen, einseitige Liegepositionen zu begrenzen und trägt damit zur Entwicklung einer “schönen” Kopfform bei. Zudem sollte man das Baby tagsüber ruhig öfter auf den Bauch oder die Seite legen – wenn man dabei ist.

Außerdem wird empfohlen, dass das Baby im ersten Lebensjahr im eigenen Bett im Zimmer der Eltern schläft. Johanna Haarer dagegen empfahl, dass man das Baby, wenn es gewickelt und gefüttert ist, in sein Bett legt und die ganze Nacht auf keinen Fall mehr ins Zimmer geht. Deswegen ist es vielen Omas fremd, dass das Baby bei den Eltern und nicht im Kinderzimmer nächtigt.

Viele Großeltern finden auch das immer häufiger praktizierte Familienbett befremdlich – ihnen kann man entgegnen, dass es im Ausland völlig normal ist und auch in Deutschland bis Ende des 20. Jahrhunderts selbstverständlich war. Wenn das Baby bei den Eltern schläft, wird sein Bedürfnis nach Nähe und Körperkontakt gestillt, mit Verwöhnen (siehe oben) hat das nichts zu tun.

Streitpunkt: Die richtige Kleidung

“Ist das Kind denn warm genug angezogen?” – Diese Frage hören wohl viele Eltern von der älteren Generation. Babys haben oft eiskalte Hände und Füße. Das heißt aber nicht, dass ihnen kalt ist. Die Extremitäten können noch nicht aus eigener Kraft durchblutet werden und fühlen sich deswegen oft kalt an, obwohl die Körpertemperatur ansonsten völlig in Ordnung ist. Die Nackenprobe liefert ein zuverlässigeres Ergebnis: Wenn das Kind dort weder schwitzt noch kalte Haut hat, dann ist es warm genug, aber nicht zu warm angezogen – auch wenn Oma bei seinem Anblick fröstelt. Früher war es in den Wohnungen mangels Dämmung einfach kälter als heute, von daher rühren wahrscheinlich die unterschiedlichen Ansichten bezüglich angemessener Kleidung für das Kind.

“Ein Klaps hat noch keinem geschadet”

Viele von uns haben als Kinder mal den Popo voll bekommen und auch Ohrfeigen waren keine Seltenheit. Unsere Eltern rechtfertigen das häufig mit dem Satz: “Ein Klaps hat noch keinem geschadet.” Heute ist das gesetzlich verboten und das ist auch gut so, denn man weiß inzwischen, dass Kinder, die Gewalt erlitten haben, später häufig selbst zu Gewalt neigen. Körperliche Züchtigungen wurden in Deutschland allerdings erst im Jahr 2000 ersatzlos abgeschafft: durch die Verschärfung des § 1631 des Bürgerlichen Gesetzbuches haben Kinder nun das ausdrückliche „Recht auf gewaltfreie Erziehung”. „Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig“, heißt es im Gesetz. Das bedeutet, Eltern, die ihr Kind  schlagen, und sei es nur mit einem Klaps, machen sich strafbar. Und das gilt natürlich auch für Großeltern.

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Fotos: Flickr/Kris unter CC BY-NC-ND 2.0, Mamaclever, Flickr/Andrew Vargas unter CC BY 2.0

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Eva Dorothée Schmid: Ich bin Journalistin und Mutter eines Sohnes (geb. 2012) und einer Tochter (geb. 2015), wohne in Hamburg und versuche als Mamaclever, Eltern fundierte Antworten auf alle Fragen zu geben, die sich mit Baby, Klein- oder Kindergartenkind so stellen.
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