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Wie bekomme ich mein Kind trocken? Gar nicht! Das macht es selber

Immer wieder liest man in Elternforen, ein Kind mit zweieinhalb Jahren sollte doch langsam mal trocken sein und wenn es das nicht ist, dann seien die Eltern schlicht zu faul, ihr Kind zur Sauberkeit zu erziehen. Aber ist Trocken werden wirklich Erziehungssache? Experten sagen nein.

Jeder hat schon mal von diesen Wunderkindern gehört, die angeblich mit eineinhalb schon aufs Töpfchen gehen. Wenn der dreijährige Sohn oder die vierjährige Tochter immer noch eine Windel braucht, dann fühlen sich viele Eltern angesichts solcher Geschichten, als hätten sie versagt. Doch was sagt eigentlich die Statistik darüber, wann Kinder trocken werden?

Kurz nach dem 4. Geburtstag gelingt es 90 Prozent der Kinder, die Kotabgabe willentlich zu steuern. Bis zur Vollendung des 4. Lebensjahres können 80 bis 85 Prozent aller Kinder auch ihre Blase vollständig kontrollieren – und zwar am Tag und in der Nacht. Das heißt, bis zu 20 Prozent aller 5-Jährigen brauchen zumindest zeitweise noch Windeln – das ist jeder fünfte!

Internationale Studien haben ergeben, dass  Kinder im Durchschnitt mit 30 Monaten trocken werden. Tagsüber kommen sie im Schnitt mit 28 Monaten ohne Windeln aus, nachts im Schnitt mit 33 Monaten. Das sind aber alles Durchschnittszahlen, das heißt, es gibt große Abweichungen nach unten und nach oben!

Mit Töpfchentraining wird kein Kind früher trocken

Die Sensation dabei ist: diese Zahlen sind völlig unabhängig davon, ob die Eltern eine Sauberkeitserziehung durchgeführt haben oder nicht! Das hat die Zürcher Längsschnittstudie von Remo H. Largo ergeben.

Sauberkeitserziehung war früher schon sehr früh üblich. In den 60er-Jahren wurde bei 95 Prozent der Kinder noch vor dem ersten Geburtstag mit Toilettentraining begonnen, in den 80er-Jahren nur noch bei 10 Prozent und heute beginnen die meisten ihr Kind mit 2,4 Jahren an das Töpfchen zu gewöhnen.

Unsere Großeltern und Eltern behaupten oft, dass wir oder ihre Kinder viel früher trocken waren als die Kleinen heute. Tatsächlich werden Kinder heute im Durchschnitt ungefähr ein halbes Jahr später trocken als noch vor 30 Jahren. Das liegt aber daran, dass man heute “trocken” anders definiert als früher. Trocken sein bedeutet heute, dass ein Kind seine Blasenkontrolle perfekt selbst steuern kann. Früher galt ein Kind als trocken, wenn seine Eltern konsequent den Topf unterschoben und keine Lücke entstehen ließen, in der etwas daneben hätte gehen können. Bei einem Ausfall der Eltern brach das System natürlich  zusammen und die Harnabgaben wurden wieder altersgemäß.

Warum die Sauberkeitserziehung das Trocken werden nicht beschleunigt, liegt daran, dass das Erreichen der Blasenkontrolle ein Reifungsphänomen ist. Sowohl der Ablauf als auch die Geschwindigkeit ist in jedem Kind als festes Programm individuell angelegt und wird vom Gehirn aus gesteuert. Die Reifungsschritte, die nötig sind, damit das Kind seine Blase und seinen Darm kontrollieren kann, lassen sich nicht durch Sauberkeitserziehung und Töpfchentraining beschleunigen.

Darmkontrolle ist einfacher als Blasenkontrolle

Den Darm können Kinder früher kontrollieren als ihre Blase, denn sie entleeren ihn im dritten Lebensjahr meist nur ein oder zweimal pro Tag oder noch seltener. Die Zahl der Harnabgaben hat sich zwar im Vergleich zur Säuglingszeit (etwa 30 mal in 24 Stunden!) deutlich verringert, aber im dritten Lebensjahr uriniert ein Kind trotzdem noch etwa zehnmal am Tag.

Dazu kommt, dass sich eine Darmentleerung über längere Zeit ankündigt und bevorzugt zu einer bestimmten Tageszeit passiert. Das Vorwarnsystem der Blase ist für das Kind dagegen schwieriger zu verstehen. Erst ganz kurz bevor es zu spät ist, schlägt sie richtig Alarm. Davor meldet sie sich mit dezenten Signalen, die vor allem im angeregten Spiel aber leicht ignoriert werden können.

Bei den meisten Kindern zeigt erst mit zweieinhalb Jahren ein Gefühl an, dass die Blase voll ist. Das Harnlassen können die Kinder aber nur dann verhindern, wenn sie den äußeren Schließmuskel und die Beckenbodenmuskulatur bewusst anspannen können.

Was Eltern tun können, um den Kindern beim Trocken werden zu helfen

Eltern können ihr Kind beim Trockenwerden dennoch unterstützen – aber erst, wenn das Kind von sich aus bereit dazu ist. Gabriele Haug-Schnabel, Leiterin der Forschungsgruppe Verhaltensbiologie des Menschen (FVM), Privatdozentin an der Universität Freiburg und Autorin des Buchs Wie Kinder sauber werden können* sagt, dass Eltern nur den jeweiligen Entwicklungsschritt, den ihr Kind von sich aus macht, begleiten können. Sie sollten mit Geduld und Verständnis auf die sich ankündigenden Entwicklungsschritte reagieren, die beginnende Aufmerksamkeit für Toilettenthemen aufgreifen und fördern, also beispielsweise bereit sein, mehrmals am Tag das Kind auf Wunsch hin zur Toilette begleiten, egal ob mit oder ohne Erfolg. Hilfreich beim Sauberwerden können auch Trainers* sein, das sind Unterhosen mit Saugschicht. Das Kind kann sie wie eine Unterhose alleine an- und ausziehen und wenn doch mal eine Panne passiert, dann ist nicht gleich die ganze Hose nass.

Eltern sollten ihrem Kind auch vermitteln, wann man zur Toilette geht, wie viel Zeit man vorab einkalkulieren muss, damit es noch rechtzeitig ist, wo und wie man den passenden Ort findet und was man dort machen muss. Wenn das Kind so weit ist, dass es merkt, dass es Pipi gemacht hat und stolz verkündet “Mami, ich habe Pipi gemacht”, dann ist das der erste Schritt in Richtung trocken werden. Man sollte es deshalb loben und nicht sagen: “Warum hast Du das nicht früher gesagt.” Haug-Schnabel rät dazu, das Töpfchen oder die Toilette anzubieten, sobald beim Kind Anzeichen von Harndrang sichtbar werden. Bei Anzeichen von Harndrang wird ein Kind unruhig, trippelt auf der Stelle und presst die Oberschenkel zusammen. Unangebracht und auch erfolglos sind lange, erzwungene Topfsitzungen, nächtliches Wecken und Abheben, Trinkeinschränkungen am Abend sowie Bestrafung für eine nasse und Belohnung für eine trockene Hose.

Wer zu früh mit dem Töpfchentraining anfängt und dabei viel Druck auf sein Kind ausübt, könnte das Gegenteil vom Gewollten erreichen. Gabriele Haug-Schnabel schreibt, dass es auffallend ist, dass gerade unter den Kindern, die wegen massiver Einnässprobleme dem Kinderarzt vorgestellt werden, überdurchschnittlich viele sind, mit denen besonders früh mit einer Sauberkeitserziehung begonnen worden war. Viele Wissenschaftler vermuten heute in einem extrem frühen Start der Sauberkeitserziehung mit überfordernden und bestrafenden Maßnahmen einen gewichtigen Grund für späteres Einnässen.

 

Foto: Flickr/Todd Morris unter CC BY-SA 2.0  

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Eva Dorothée Schmid: Ich bin Journalistin und Mutter eines Sohnes (geb. 2012) und einer Tochter (geb. 2015), wohne in Hamburg und versuche als Mamaclever, Eltern fundierte Antworten auf alle Fragen zu geben, die sich mit Baby, Klein- oder Kindergartenkind so stellen.