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Mein Baby, das Model: Erfahrungen mit einer Kindermodelagentur

Ist es okay, sein Kleinkind zu Werbezwecken fotografieren zu lassen? Das fragen sich viele Mütter mit besonders fotogenen Babys. Fragt man im Netz, dann erntet man häufig einen Shitstorm. Viele finden das total daneben, haben aber auch keine exakten Vorstellungen davon, wie Fotoshootings mit Babys ablaufen. Mamaclever war sehr skeptisch, hat es aber ausprobiert. Hier mein Erfahrungsbericht.

Mein zehn Monate alter Sohn sitzt vor einer weißen Leinwand, er trägt trotz sommerlicher Temperaturen eine Fleecejacke und weiß nicht recht, wie ihm geschieht. Einige Meter entfernt sitzt eine Fotografin auf dem Boden, daneben kniet die Stylistin, eine junge Frau mit langen dunklen Locken, die mit Spielzeug herumwedelt und Seifenblasen in die Luft pustet. Doch der Kleine blickt starr vor sich hin, lässt sich kein Lächeln entlocken. Auch nicht, als ich mich hinter die Fotografin ducke, hervorspringe und “hier ist die Mama” rufe, immer und immer wieder. Ich komme ins Schwitzen, fühle mich wie eine Animateurin im falschen Film und frage mich, was wir hier eigentlich machen.

Ursprünglich wollte ich lediglich günstig professionelle Babyfotos von meinem Sohn haben. Die Krabbelgruppenleiterin hat erzählt, die bekomme man auf einer CD für 25 Euro, wenn man sein Kind von Hamburg Casting  (inzwischen Sonntagskinder) fotografieren lasse, einer Agentur, die sich auf die Vermittlung von Kindern für Film, Fernsehen und Werbeaufnahmen spezialisiert hat. Man werde dann in die Kartei aufgenommen, müsse aber keine Aufträge annehmen.

Ich finde meinen Sohn sehr niedlich, auch sein Vater ist total verliebt in den Kleinen. Klar, so geht es fast allen Eltern. Allerdings werde ich auch von Fremden häufig auf seine strahlend blauen Augen angesprochen und auch die anderen Mamas in der Krabbelgruppe waren sehr angetan von dem Blondschopf. “Der könnte Werbung für Pampers oder so machen”, hat mal eine gesagt. Zuhause wird er oft fotografiert, gestört hat ihn das nie. Ich schicke also Bilder an die Agentur, die seriös erscheint. Als Referenzen gibt sie unter anderen Lego Duplo, Weleda, Otto sowie den KIKA an.

Hohe Aufnahmegebühren sind unseriös

Auf dem Markt der Kindermodels tummeln sich auch unseriöse Anbieter, die hohe Gebühren fordern aber keine Referenzen vorzuweisen haben. Wenn mehr als 50 Euro fällig werden, sollten die Alarmglocken schrillen. Vor allem Castings, zu denen per Annonce eingeladen wird, entpuppen sich Verbraucherschützern zufolge oft als Massenveranstaltungen von dubiosen Anbietern. Seriöse Agenturen vermitteln nur Kinder aus der Nähe, damit Babys nicht quer durch die Republik reisen müssen.

Ein paar Tage später kommt eine Mail, die Agentur will mein Kind in ihre Kartei aufnehmen, ich soll einen Fototermin vereinbaren. Wir unterschreiben eine Vereinbarung, die regelt, dass Hamburg Casting eine Sedcard erstellt, die sie potentiellen Auftraggebern vorlegt, wir selbst entscheiden, ob wir einen Auftrag annehmen oder nicht, dass wir jederzeit kündigen können und dass die Agentur bei erfolgreicher Vermittlung 20 Prozent vom Honorar bekommt.

Sechs Monate später sitzt mein Sohn beim Shooting eines Babymodenanbieters. Als die erste Anfrage kam, sagte ich noch ab. Wir hatten etwas anderes vor und der Auftraggeber, ein Discounter, sagte mir auch nicht sonderlich zu. Beim zweiten Anruf aus der Agentur dachte ich mir, man könne sich das ja mal anschauen. Ein bisschen Stolz darauf, dass auch Werbeleute das eigene Kind süß finden, schwang sicher mit. Und da der Kleine ein unkompliziertes Kind ist, eigentlich immer gute Laune hat und eher neugierig als schüchtern auf seine Umwelt reagiert, schien nichts dagegen zu sprechen.

Irgendwo müssen all die süßen Babys in den Katalogen und Zeitschriften ja herkommen

Dass mein Sohn in der Kartei einer Kindermodelagentur ist, habe ich zunächst niemandem erzählt, nicht den Großeltern, Tanten und auch nicht meinen Freundinnen. Ich fürchtete negative Kommentare. Wer es wagt, im Internet nach Erfahrungen oder Kindermodelagenturen zu fragen, der sieht sich einem regelrechten Shitstorm ausgesetzt. Viele Mütter finden das offensichtlich zutiefst verwerflich, “niemals würde ich meinen Kindern das antun”, “die Mütter, die so was machen, haben eine Profilneurose, die sie durch Zurschaustellung des Kindes ausleben müssen” oder “die Kinder werden ausgebeutet”, so lauten die Kommentare. Andererseits müssen die süßen Babys in den Babymodekatalogen, Elternzeitschriften, auf den Packungen von Pampers und Co. ja irgendwo herkommen. Und ich wollte mir selbst ein Bild machen.

Beim Fitting, wo die Kinder ein Outfit anprobieren und darin fotografiert werden, habe ich überraschenderweise zwei Mütter getroffen, die ich aus dem Geburtsvorbereitungskurs kannte. Die eine hatte mit ihrer Tochter Livia bereits mehrere Shootings hinter sich, für die andere war es mit ihrem Sohn wie für uns das erste Mal. Die Anprobe dauerte nur wenige Minuten, es gab 10 Euro für die Anfahrtskosten und kurz darauf den Anruf der Agentur, mein Sohn sei für zwei Tage gebucht, um 9.30 Uhr. Hilfe, zu dieser Zeit bekommt der Langschläfer üblicherweise seinen Morgenbrei. Der Termin lässt sich eine halbe Stunde nach hinten schieben.

Das Aussehen allein ist nicht entscheidend

Auf dem Weg ins Studio schläft der Kleine ein. Wir müssen ihn nach 25 Minuten wecken, keine gute Voraussetzung. Im Studio wuseln neben den Leuten von der Crew zwei Hunde herum und mehrere andere Babys. Manche sind unfassbar süß, bei anderen kann ich nicht sofort nachvollziehen, warum sie gebucht wurden. Anders als bei Erwachsenen gibt es bei den Minimodels kein gängiges Schönheitsideal, verschiedene Nationalitäten und Typen sind gefragt. Und das Aussehen allein ist nicht entscheidend, wie sich noch zeigen wird.

Ich ziehe meinem Sohn die bereitgelegten Klamotten an, er bekommt ein bisschen Rouge auf die Wangen getupft und wird vor die Kamera gesetzt. Er soll dort möglichst in einer bestimmten Position sitzen bleiben und lachen. Doch ihm ist der Trubel zu viel, er ist müde, fängt an zu weinen. Die Fotografin bricht ab. Es ist zwölf Uhr, Mittagschlaf-Zeit.  Keiner am Set beschwert sich, keiner ist genervt, dass das Kind nicht lacht, alle sind ausgesprochen freundlich. Und sie haben viele Kinder gebucht, genau für diesen Fall. Einem zweiten Jungen wird das gleiche Outfit angezogen.

Etwas später soll Adrian, ein extrem hübscher Junge, der schon laufen kann, in einem Regenmantel fotografiert werden. Er guckt todtraurig und läuft immer wieder zu seinem Vater. So kleine Kinder scheinen nicht dafür gemacht, vor der Kamera stillzustehen und zu lächeln. Mein Sohn kommt ein zweites Mal dran, dieses Mal ist er das Ersatzkind. Er kippt im Regenmantel vornüber, weint. Abbruch. “Der ist durch”, sagt die Fotografin. “Ihr seid fertig.”

Gesetzliche Vorschriften für Kindermodels

Als Mutter fühle ich mich schlecht und irgendwie schuldig, weil das Kind nicht so funktioniert wie gewünscht. Schließlich wird es gut bezahlt. Dabei hat man alles gegeben, damit es lacht. Aber warum sollte es das tun? Es ist ja noch zu klein, um zu wissen, was von ihm erwartet wird. Rechtlich gesehen ist es so, dass Kinder unter Drei natürlich  noch nicht arbeiten dürfen, deshalb gibt es für sie anders als für ältere Kinder keinerlei Bestimmungen, wie man beim Amt für Arbeitsschutz erfährt. Sie bei ihrer “natürlichen Lebensäußerung” zu filmen oder zu fotografieren, gilt nicht als Arbeit, ist also erlaubt – sofern die Erziehungsberechtigten einwilligen. Das heißt, der Fotograf muss so lange warten, bis das Kind das tut, was er aufnehmen möchte. Ob er es dazu animieren darf, ist fraglich.

Ich gehe mit der Erkenntnis nach Hause, dass Katalogshootings was für Kinder sind, die nicht nur süß, sondern irgendwie auch Rampensäue sind. So wie Livia, die Tochter der Mutter vom Geburtsvorbereitungskurs. Die dreht vor der Kamera so richtig auf. Später wird sie auf der Internetseite des Kindermodeherstellers oben ganz groß zu sehen sein. Ein Foto meines Sohnes wird nicht erscheinen, weder im Internet noch im Katalog. Trotzdem bekommt er für jeden der zwei Tage, an denen wir jeweils eineinhalb Stunden vor Ort waren, 200 Euro, abzüglich der Agenturprovision.

Kurz nach seinem ersten Geburtstag lasse ich die Sedcard aktualisieren, vor allem deshalb, weil die Fotos beim ersten Mal so schön geworden sind. Dass monatelang keine Anfrage kommt, ist mir ganz recht. Als mein Sohn 21 Monate alt ist, ruft Hamburg Casting an. Ein Hersteller von Babynahrung will ihn an zwei Tagen buchen. Ich vergesse, der Agentur zu sagen, dass er inzwischen eine Narbe über der Augenbraue hat.

Das Leben mit dem Kind ist nicht mehr so unbeschwert wie es sein sollte

In den Tagen vor dem Shooting kratzt er sich häufig im Gesicht, so dass er dazu noch einen Kratzer an der Stirn und eine Stelle auf dem Lid hat. Und dann fällt er beim Turnen auch noch gegen die Ecke einer Bank, die Wange wird rot. Ich habe Angst, dass sie am nächsten Tag blau sein könnte. Ist das Baby ein Model, dann ist das Leben mit ihm nicht mehr ganz so unbeschwert wie es eigentlich sein sollte.

Am Tag des Shootings ist die Rötung fast verschwunden. Ich habe Sohnemann extra im Nacken ein bisschen die Haare geschnitten, damit er ordentlich und gepflegt aussieht. Ich bin ein bisschen aufgeregt wegen der Blessuren.Überlege, ob ich die ansprechen soll, lasse es dann aber. Für was gibt es schließlich Photoshop? Erwachsene Models sind auch selten makellos.

Dieses Mal läuft es viel besser, mein Kleiner wird tatsächlich bei seiner “natürlichen Lebensäußerung” fotografiert, die Bilder sollen für den Internetauftritt und Broschüren des Babynahrungsherstellers verwendet werden. Er darf im Hochstuhl sitzen und Paprika essen – die liebt er. Er soll auf dem Sofa mit einem Auto spielen – er tut den ganzen Tag nichts anderes. Er soll aus einem Becher Milch trinken – nichts leichter als das.

300 Euro für zwei Stunden Spaß

Am zweiten Tag sind auch erwachsene Models am Set, Elze und Matthias. Sie sollen die Eltern darstellen, sehen zugegebenermaßen besser aus als mein Mann und ich und passen sogar noch optisch zu Sohnemann. Der spielt mit ihnen, lässt sich füttern und kuschelt sogar mit der Ersatzmama. Die Crew ist begeistert, vor allem weil die zwei Kinder zuvor losbrüllten, sobald das Model sie auf den Schoß nahm. Ich bin weniger begeistert, aber mein Kleiner hat Spaß – und bekommt dafür für zwei Stunden 300 Euro.

Wenn er älter ist, werde ich ihn aus der Kartei löschen lassen. Ich will nicht, dass er sich auf sein Aussehen etwas einbildet. Er soll Anerkennung für das, was er tut, bekommen, nicht für sein Äußeres. Bis dahin werden wir vielleicht mal wieder einen Auftrag annehmen – sofern es sich nicht um ein Katalogshooting handelt. Ich hoffe, auf die Fotos ist er später so stolz wie wir. Und wenn nicht, dann freut er sich sicher über das Geld auf seinem Konto.

Wer sein Kind auch fotografieren lassen möchte, hier eine Auswahl von Agenturen, die meiner Meinung nach seriös sind:
Hamburger Sonntagskinder, Boys and Girls, Kids, LiLaLaunekids, Model Pool Kids.

Fotos: Mamaclever/Eva Dorothée Schmid

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Kategorien: Allgemein
Eva Dorothée Schmid: Ich bin Journalistin und Mutter eines Sohnes (geb. 2012) und einer Tochter (geb. 2015), wohne in Hamburg und versuche als Mamaclever, Eltern fundierte Antworten auf alle Fragen zu geben, die sich mit Baby, Klein- oder Kindergartenkind so stellen.
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